Singende Hasen
Jeden Montag gibt es sehr persönliche Erinnerungen auf meinem Blog. So auch heute. Nur entführe ich euch dieses Mal nicht nach New York oder auf die Insel Tinos, sondern in meine Kindheit und zur meine Oma.
Die Mutter meine Mutter lebt damals in der Bachstraße bei uns in Bremerhaven und ich bin gerne bei ihr, denn ich habe sie wahnsinnig lieb und irgendwie ist bei ihr auch alles etwas anders als bei uns daheim. So knackt und knirscht es seltsam, wenn bei ihr über den Flur läuft und auf einem Schrank in ihrem Zimmer steht eine alte Uhr, die alle 15 Minuten furchtbar laut den Gong schlagen lässt.
In ihrem Esszimmer gibt es auf der Fensterbank eine Passionsblume. Oh, was liebe ich die. Es ist ein festes Ritual von meiner Oma und mir, bei meinen Besuchen zu schauen, ob sie eine neue, blühende Blüte hat. Direkt daneben, über einem alten und äußerst bequem Sessel, hängt das Bild meines Großvaters. Es zeigt nur sein Gesicht, das obwohl er Soldat ist, unheimlich warm, freundlich, lieb und weich ausschaut. Dr Ludwig Martin heißt er und meine Mutter hat ihn nie kennengelernt, denn er ist leider im Krieg geblieben. Seine sterblichen Überreste liegen heute auf einem Kriegsgräber Friedhof in Regensburg, also über 800 Kilometer von Bremerhaven entfernt. Warum das allerdings so ist, weiß ich nicht. Jedenfalls hängt sein Bild also hier und darunter befindet sich eine kleine Vase, die einmal in der Woche von meiner Oma mit Blumen gefüllt wird.
Dann gibt es im Wohnzimmer einen großen, alten Schrank mit seltsamen Spielen darin. Bei einem kann man eigene Blumentöpfe aus Plastik erstellen, bei einem anderen geht es darum, Pfennige zu sammeln. Auch kleine Figuren sind hier zu finden. Sie liegen in verschiedenen, alten Zigarrenschateln und stammen wohl aus einer Werbeaktion. Jedenfalls kann man mit ihnen ganze Städte auf dem Fußboden erschaffen und bauen.
Was ich damals nicht weiß:
All die Spielzeuge haben schon meiner Mama und ihren Geschwistern gehört. Verrückt.
All die Spielzeuge haben schon meiner Mama und ihren Geschwistern gehört. Verrückt.
Bei meiner Oma ist es herrlich. Man kann mit ihr lachen und auch einfach mal etwas verrückt sein. Nur bewegen kann sie sich leider nicht mehr sehr gut. In der Nacht, in der Bremerhaven ausgebomt wurde, traf sie ein schwerer und großer Schornstein auf dem Rücken. Unvorstellbar. Das schränkt sie seither sehr ein und begrenzt ihre Möglichkeiten in gewissen Gebieten
Meine Oma weiß trotzdem, mich immer wieder neu zu überraschen! Mal basteln wir Kerzen, dann wieder kochen wir Marmelade ein und irgendwie ist hier und bei ihr, die Welt einfach in Ordnung.
Eine meiner größte Leidenschaft sind allerdings schon früh Hörspiele. Ich liebe sie und kann mich in den unterschiedlichen Stimmen der verschiedenen Charakter einfach nur verlieren. Ich habe beim Hören Bilder im Kopf und spiele diese später für mich nach.
Im Haus meiner Eltern gibt es viele Platten, allen voran jene von EUROPA mit den Abenteuern des großen Häuptling Winnetou und seinem Blutsbruder Old Shatterhand. Auch meine Eltern selbst spielen auf ihrer Anlage gerne Musik. So gibt es griechische und deutsche Platten, aber auch einige wenige, die für mich verboten und tabsu sind. Sie stammen von Fips Asmussen und tragen seltsame Titel wie: „Der scharfe Herrenwitz“, „Witze am laufenden Band“ oder „Abends in der Haifischbar“. Vermutlich alles nicht für Kinderohren bestimmt.
Die Platten meiner Oma sind da ganz anders. Dunkel und seltsam wirken sie auf mich und wenn sie eine davon auflegt, wackelt das ganze Wohnzimmer. Mit ihren Sängerinnen und Sängern kann ich so gar nichts anfangen und Hörspiele, Hörspiele gibt es hier gar nicht.
Doch das ändert sich eines Tages. Meine Tante hat meiner Oma eine Platte für mich mitgebracht und die hören wir beide nun. „Der Sängerkrieg der Heidenhasen“ heißt sie und sie erzählt vom Hasen Lodengrün, der um die Gunst der Prinzessin kämpft, dabei aber von seinem Konkurrenten übers Ohr gehauen wird. Ein glückliches Ende gibt es natürlich trotzdem, aber diese Platte, zusammen mit meiner Oma, das ist für mich der Hit.
Zunächst einmal haben die Hasen allesamt komischen Namen. Ich meine, wer heißt denn bitte schön schon Lodengrün oder Wackelohr. Das ist doch herrlich. Ja und dann singen die da alle und das derart schief, dass man es kaum ertragen kann. Ich muss mich jedes Mal kaputtlachen, so komisch ist das, besonders auch deswegen, weil meine Oma auf die gleiche Art und Weise auch noch mitsingt. Hach, was hatten wir einen Spaß, gemeinsam auf dem Sofa, in ihrem Wohnzimmer, neben ihr die Stereoanlage und aus den großen, schweren Boxen die seltsame Hasenmusik.
Für mich war das einfach nur schön, unglaublich schön.
Für mich war das einfach nur schön, unglaublich schön.
1990 starb meine Oma und mit ihr verschwand auch die alte, wunderbare Platte. Ich habe sie nie wieder gehört, bis ich sie vor einigen Monaten ganz überraschend bei Youtube wiedergefunden habe. Wenn ihr mögt, hört doch mal rein. Die Aufnahme ist fast 70 Jahre alt, stammt aus dem Jahre 1958 und ich würde behaupten, ein Hörspiel wie dieses gibt es heute gar nicht mehr. Ich habe es euch hier unten direkt mal verlinkt. Ich gestatte euch auch mitzusingen, aber verratet es niemanden. Das ist unser Geheimnis.
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